Es wird viel darüber diskutiert, wie das Rechtssystem mit Hilfe digitaler Hilfsmittel verbessert werden kann. Es geht dabei um die Vereinfachung der Kommunikation zwischen Gericht und Anwälten sowie unter Anwälten, die Einrichtung von vorgerichtlichen oder außergerichtlichen Streitschlichtungsmechanismen bis zur Diskussion, ob es Gerichte im Internet geben sollte. Dies ist alles schön und gut und diskussionswürdig. Allerdings geht es dabei lediglich um die Digitalisierung von Verfahren, von Hilfsmitteln oder anders gesagt dem Handwerkszeug. Eine technische Modernisierung von Abläufen und Verfahren ändert nichts an einem Grundproblem, dem Menschen selbst.
Alle Menschen werden von Kindheit an geprägt. Sie werden sogar eigentlich vor ihrer Geburt geprägt, weil das Umfeld, indem sie aufwachsen über Jahrhunderte hinweg geprägt wurde. Das gilt auch für Richter und Staatsanwälte. Die Staatsanwaltschaft soll die objektivste Behörde der Welt sein und insbesondere auch zu Gunsten eines Verdächtigen/Beschuldigten ermitteln (§ 160 Abs. 2 StPO). Dies ändert aber nichts daran, dass alle Menschen, auch Richter und Staatsanwälte, die Welt aus ihrer persönlichen Perspektive betrachten. Sie interpretieren das, was sie wahrnehmen geprägt durch ihre Vorprägung. Sie beurteilen, dass das, was sie subjektiv wahrnehmen die Wahrheit ist. Aufgrund ihrer Vorprägung ist es Menschen unmöglich, reine Tatsachen wahrzunehmen. Jede Tatsache wird unmittelbar in ein Raster aus persönlichem Meinen, Dafürhalten und Wollen eingeordnet.
Hinzu kommt, dass Menschen sich und ihre Entscheidungen – auch unbewusst – bestätigen wollen. Treffen sie eine Entscheidung, nehmen sie ab da die Welt um sie herum mit einen neuen Filter, der die Entscheidung selektiv rechtfertigen möchte, wahr. Dieses Phänomen ist der s.g. Inertiaeffekt. Dieser prägt im Strafrecht das Ermittlungsverfahren, in dem am Anfang eine Ermittlungshypothese steht, die Polizei und Staatsanwaltschaft ihrem weiteren Vorgehen zugrunde legen. Für Tatsachen, die zu der angenommenen Handlung, die die Ermittlungshypothese begründen soll, nicht passen, bleibt da kaum Raum. Es ist ein guter Wille des Gesetzgebers, wenn das Gesetz vorschreibt, die Staatsanwaltschaft habe auch zugunsten Beschuldigter zu ermitteln. Tatsächlich geschieht dies nicht. Auch Strafgerichte legen sich schon mit der Entscheidung, die Anklage zuzulassen gewissermaßen fest. Denn der Rechter oder die Kammer entscheidet damit, dass eine Verurteilung wahrscheinlich erscheint. Ab da, suchen sie – auch unbewusst – nach einer Bestätigung ihrer Entscheidung.
Wer nicht voreingenommen ist, sind Computer, solange sie keine Vorgaben von Menschen bekommen. Gerade heutzutage lässt sich das Leben von Menschen fast vollständig mit Hilfe der von ihnen genutzten Datenverarbeitungsgeräte und den von diesen generierten Daten darstellen. So haben Ermittler Zugriff auf Kommunikation (E-Mail, Chats, Internet, Telefon (bei Abhörung)) und Bewegungsdaten sowie von Beschuldigten generierten Dateien. Insbesondere in der Wirtschaft tätige Menschen produzieren eine wachsende Menge an Daten. Entscheidungen werden in Präsentationen und Arbeitspapieren festgehalten und vielfältig digital kommuniziert. Schon jetzt sollte es ein starkes entlastendes Indiz sein, wenn Ermittler Zugriff auf alle Kommunikationsmittel haben, diese vollumfänglich auswerten können, aber keine belastenden Beweise finden. Zur Verabredung zu einem Tatplan beispielsweise bleibt dann nur das persönliche direkte Gespräch. Dies scheidet aber aus, wenn die Bewegungsdaten der Mobiltelefone beispielsweise belegen, dass sich die angeblichen Mittäter nie getroffen haben. Eine solche Analyse sollte Standard sein und ein entlastendes Ergebnis kann nicht einfach mit dem Wink „dann wird es eben anders gewesen sein“ abgetan werden. Leider geschieht dies aber noch all zu oft.
Noch besser wäre es, wenn eine durch Big Data und Künstliche Intelligenz gesteuerte, neutrale Software einfach alle Daten, die einen Sachverhalt ausmachen, analysieren würde. Eine solche Software könnte die Aufgabe erhalten, die Geschichte, die die Daten erzählen, zu ermitteln, also wer handelt, wer kommuniziert mit wem wann über was, welche Zusammenhänge gibt es, welche Gelder sind wohin geflossen, was ist passiert etc. Daraus könnten sich verschiedene mehr oder weniger wahrscheinliche Handlungsstränge ergeben. Die Software hätte Zugriff auf alle Bankdaten und Geldflüsse, Handelsregisterdaten weltweit, Reisedaten etc. Sie wüsste, ob die Ehefrau eines Geschäftsführers indirekt Eigentümerin einer Scheinfirma in Belize ist, die über drei Ecken, Polen, Nicaragua und Brasilien Zahlungen für nicht geleistete Dienste weitergeleitet bekommt und damit die Villa im Taunus finanziert. Auch, wenn Personen nicht registriert sind, würde die Software mit Hilfe von Datenströmen gewisse Näheverhältnisse ermitteln können.
Solchen objektiven, voreinnahmelosen Ermittlungsalternativen könnten die Parteien im Zivilstreit oder Ermittler im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren als Benchmark ihren eigenen Annahme gegenüberstellen. Die Strafkammer würde solch eine Auswertung als Voraussetzung für die Entscheidung über die Zulassung einer Anklage fordern. Erscheint die in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft dargelegte Handlung nicht als mögliche Handlungsalternative, die auch die Software als eine von mehreren ermittelt hat, würde sie die Anklage vielleicht nicht zulassen.
Wann Computer und Software fähig sein werden, solch eine „general artificial intelligence“ umzusetzen, steht in den Sternen. Möglich sollte es aber sein. Dann würde der Makel des Menschlich-Seins, also die Welt voreingenommen zusehen, beseitigt werden können.